Im Zeitraum von Januar 2011 bis August 2011 wurden in vier ausgewählten Stadtteilen Hamburgs (Wilhelmsburg, Billstedt, Altona-Nord und Altona-Altstadt) 100 türkische Migrantinnen und Migranten über 60 Jahre ohne Pflegestufe anhand eines standardisierten Fragebogens in türkischer Sprache befragt. (In einer assozierten Promotion sowie Masterabschlussarbeit erfolgte zudem eine Übersetzung/Anwendung des Fragebogens in polnischer und russischer Sprache.)
Fragebogen der Bedarsfanalyse zum Herunterladen:
türkisch / deutsch / polnisch / russisch / englisch
Die Befragten gaben Auskünfte zu verschiedenen Themenbereichen: Gesund- heitszustand (z.B. hausärztliche Versor- gung, Behinderung, Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, gesundheitsbezo- gene Lebensqualität, körperliche und seelische Einschränkungen), Bewegung (körperliche Aktivität, Sport/Anstrengung), Umgang mit Tabak und Alkohol, Ernährung (z.B. Regelmäßigkeit, Konsum von Obst- und Gemüse, Fleischkonsum, fettarme und gesunde Ernährung, Getränke, Body-Mass-Index, Kochen und Einkaufen), Selbstwirksam- keitserwartung, Benachteiligung und Zufriedenheit in Deutschland, soziale Vernetzung (Kontakte, Unterstützung, Freizeitverhalten) und Pflege Angehöriger. Weiterhin wurden soziodemographische und sozioökonomische Daten erhoben.
Soziodemographische Daten: Insgesamt konnten die Daten von 54 Frauen und 46 Männern ausgewertet werden. Das durchschnittliche Alter lag bei den Frauen bei 64,3 Jahren und bei den Männern bei 66,9 Jahren. Die Zielgruppe gehört somit zu den „jungen Alten“. 13 befragte Personen konnten ihr Alter nicht angeben. Mit Ausnahme einer in Mazedonien geborenen Frau stammen alle Befragten aus der Türkei und besitzen die türkische Muttersprache. Die Befragten kamen zwischen 1960 und 1989 nach Deutschland. 48,1% der Frauen und 58,7% der Männer sind verheiratet. Mit Ausnahme einer Frau haben alle Befragten Kinder. Die Hälfte der Frauen und 43,5% der Männer leben mit den Kindern im selben Haushalt. Alle Befragten sind muslimischen Glaubens. Bei 70,4% der Frauen und 52,2% der Männer spielt die Religion eine sehr große Rolle im Leben.
Sozioökonomische Daten: 95% der Befragten wohnen in einer Mietwohnung. 53,7% der Frauen und 47,8% der Männer finden ihre Wohnung zu teuer, 50% bzw. 33,3% als zu dunkel und 52,2% bzw. 31,5% als zu kalt/muffig. Etwa ein Drittel der Befragten hat den Eindruck, dass ihre Umgebung durch Umwelt-/Luftverschmutzung belastet ist (Frauen: 29,6%, Männer: 30,4%) und eine Bedrohung durch Kriminalität besteht (29,6% bzw. 23,9%). 59,3% der Frauen und 50% der Männer besuchten die Schule ein bis fünf Jahre. 63% der Männer und 64,8% der Frauen haben keinen beruflichen Abschluss und fast alle Männer waren in ihrer letzten Beschäftigung als Fabrikarbeiter oder im Baugewerbe, die Frauen vor allem als Reinigungskräfte, wenige auch als Fabrikarbeiterinnen oder als Hilfskräfte tätig. Das monatliche Netto-Einzel-Einkommen der Frauen liegt überwiegend zwischen 500€ und 750€ und unter dem der Männer (überwiegend zwischen 751€ und 1.000€).
Ernährung: Mehr Frauen als Männer geben an, auf fettarme, gewichtsbewusste und gesunde Ernährung zu achten – und trotzdem liegt der Body-Mass-Index[1] (BMI) bei den Frauen im Durchschnitt bei 29,74 und bei den Männern bei 26,34. 16,3% der Männer und 40% der Frauen haben einen BMI ≥ 30.
Bewegung und körperliche Aktivität: 28,3% der befragten Männer und 25,9% der Frauen treiben Sport bzw. sind körperlich aktiv. Zu den genannten Sportarten/körperlichen Aktivitäten zählen Spaziergänge, Gymnastik (zu Hause), Laufen, Walken und Schwimmen.
Soziale Vernetzung und Kontakte: Die Kontakte der Befragten bestehen weitestgehend innerhalb der Familie zum (Ehe-)Partner/zur (Ehe-)Partnerin oder zu den Kindern. 60,9% der Männer und 55,6% der Frauen z.B. haben täglichen Kontakt zu ihren Kindern.
Freizeit (außer Haus): Frauen treffen sich in ihrer Freizeit vor allem mit Freund/innen und Familie (76%) oder besuchen religiöse Veranstaltungen (26%). Männer besuchen ebenfalls am häufigsten Freunde und Familie (80,6%) oder gehen ins Café (66,7%). Nur 4,3% der Männer, aber 14,8% der Frauen besuchen Kurse.
Schlussfolgerungen: Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes zum Thema ‚Migration und Gesundheit‘ (2008: 100) konstatiert, dass der Migrationshintergrund häufig mit ungünstigeren Lebens- und Arbeitsbedingungen korelliert und davon ausgehend Migranten/innen im Alter verstärkt von einem schlechteren Gesundheitszustand betroffen sind. In diesem Sinne verweist der geringe sozioökonomische Status der hier Befragten auf gesundheitsspezifische Förderpotentiale. Entsprechende Bedarfe bzgl. der Gesundheit bestehen besonders in der Ernährung und der Bewegung. Zielgruppengerechte Zugänge und Vermittlungswege (Kurse/Kursmaterial in türkischer Sprache, Verwendung kulturspezifischer Lebensmittel, nach Geschlechtern getrennte Bewegungsangebote usw.) könnten die Zielgruppe zu den Themen Ernährung, Bewegung und Gesundheit informieren und sensibilisieren.
Zudem ist das soziale Netzwerk innerhalb der Familien ausgeprägt. Davon ausgehend sollten Interventionen zusätzlich genutzt werden, um soziale Netze auch außerhalb familiärer Strukturen zu stärken. So könnte der enge Kontakt zwischen den Befragten und ihren (erwachsenen) Kindern genutzt werden, indem letztere als ‚Mittler/innen‘ zwischen inner- und außerfamiliären Strukturen aktiv werden.
[1] Der Body-Mass-Index ist eine Maßzahl, der das Körpergewicht in Relation zur Körpergröße stellt (BMI=Gewicht/Größe²). laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gelten dabei folgende Werte: Untergewicht: < 18,49 / Normalgewicht: 18,50 bis 24,99 / Übergewicht: 25,00 bis 29,99 / Adipostitas: > 30.
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